Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis: Differenzierung zwischen Miete und Pacht bei zufälliger Gebrauchsbeeinträchtigung gemäß § 1105 ABGB ist kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
Co-Autor: Mag. Elias Pressler
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 30.6.2022 den Antrag des Bezirksgerichts Meidling auf Aufhebung des § 1105 ABGB, der für bestimmte Bestandnehmer eine gesetzliche Mietzinsminderung bei eingeschränkter Brauchbarkeit durch außerordentliche Zufälle vorsieht, zurück- bzw abgewiesen.
Ausgangsfall und Regelung des ABGB
Das zugrundeliegende Verfahren vor dem Bezirksgericht betraf Bestandzinsforderungen zweier Verpächterinnen gegen eine Pächterin über Gastronomiebetriebe in einem Bürogebäude. Die Pachtgegenstände waren auf Grund der behördlichen COVID-19-Maßnahmen nicht gänzlich, sondern nur teilweise unbrauchbar gewesen.
Die Unterscheidung zwischen Geschäftsraummiete und Unternehmenspacht ist in diesem Zusammenhang hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtsfolgen von entscheidender Bedeutung: Bei eingeschränkter Brauchbarkeit durch einen außerordentlichen Zufall steht einem Mieter gemäß § 1105 ABGB eine Mietzinsminderung zu; für den Pächter gilt dies grundsätzlich nicht. Dieser hat ein Minderungsrecht nur dann, wenn die Pachtdauer auf höchstens ein Jahr befristet wurde und zusätzlich die Erträge um mehr als die Hälfte vom Gewöhnlichen vermindert sind.
Anrufung des VfGH
Das Bezirksgericht Meidling war der Ansicht, dass die in § 1105 ABGB vorgenommene Differenzierung zwischen Mietern und Pächtern das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitssatzes verletze, weil im Rahmen einer Unternehmenspacht Umsatzeinbußen von 50 Prozent und mehr in aller Regel nicht durch folgende Wirtschaftsperioden kompensiert werden könnten. Die (historische) Begründung für die Unterscheidung zwischen Miet- und Pachtverträgen treffe daher für die Unternehmenspacht nicht (mehr) zu. Aus diesem Grund stelle sich die Frage, ob die unterschiedliche Behandlung von Mieter und Pächter beim beschränkten Gebrauch des Bestandgegenstandes gemäß § 1105 ABGB aus grundrechtlicher Sicht überhaupt (noch) zulässig sei.
Der Verfassungsgerichtshof teilte diese verfassungsrechtlichen Bedenken letztlich nicht. Es sei dem Gesetzgeber durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen und einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen.
Differenzierung Miete und Pacht
Zur Unterscheidung von Miete und Pacht führt der VfGH aus, dass es sich gleichermaßen um Bestandverträge iSd ABGB handelt, deren wirtschaftlicher Gehalt sich jedoch maßgeblich unterscheidet. Die bewirkte Differenzierung zwischen Miete und Pacht sei grundsätzlich sachlich gerechtfertigt.
Während nämlich die Miete eine entgeltliche Überlassung einer Sache zum bloßen Gebrauch darstellt, bezweckt die Pacht die entgeltliche Überlassung der Sache zu Gebrauch und Fruchtziehung. Bei der Pacht steht somit die selbstständige Bewirtschaftung des Pachtobjektes durch den Pächter im Vordergrund, und zwar im Rahmen von landwirtschaftlichen wie auch gewerblichen Pachtverträgen. Der durch den Pächter zu erzielende Ertrag hänge insbesondere von dessen „Fleiß und Mühe“ und somit von seinem wirtschaftlichen Geschick ab.
Ein wichtiges Merkmal für das Vorliegen eines Pachtvertrages sei die Vereinbarung einer Betriebspflicht, die aber keine bloße „Leerformel“ sein darf, sondern den längerfristigen wirtschaftlichen Erhalt der im Pachtobjekt betriebenen Unternehmung gewährleisten soll.
Gefahrtragung
Der VwGH führt aus, dass grundsätzlich die allgemeine Gefahrtragungsregelung des ABGB betreffend die vollständige Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes infolge außergewöhnlicher Zufälle gleichermaßen auf Miet- und Pachtverträge anwendbar sind. Lediglich hinsichtlich der teilweisen Unbrauchbarkeit werde unterschieden.
Der Pächter solle anders als der Mieter das wirtschaftliche Risiko aus dem Bestandvertrag (teilweise) tragen. Dies sei sachlich gerechtfertigt, weil der Pächter auch von erhöhten Erträgen profitieren kann. Er könne weiter die durch die teilweise Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes verursachte Minderung des Ertrages durch “Fleiß und Mühe“ selbst beeinflussen und die Gefahr (abstrakt) eher beherrschen als der Verpächter.
Abweichende vertragliche Regelung möglich
Die Regelungen der §§ 1104 und 1105 ABGB sind dispositiv, also nicht zwingend. Der VfGH merkt daher an, dass es den Parteien des Pachtvertrages offenstehe, eine andere Risikoverteilung zu vereinbaren.
Dauer und Art des Pachtvertrages
Auch in der Differenzierung zwischen kurz- und längerfristigen Pachtverträgen sieht der VfGH keine Verfassungswidrigkeit: Gute und schlechte Wirtschaftsperioden könnten sich bei längerfristigen Pachtverträgen ausgleichen, während dies bei kurzfristigen Pachtverträgen nicht oder nur eingeschränkt der Fall sein würde.
Der Gedanke eines „Ausgleiches“ zwischen guten und schlechten Jahren in einer Durchschnittsbetrachtung würde auch nicht nur auf die landwirtschaftliche Pacht zutreffen. In zumindest gleicher Weise könnten sich auch bei der Unternehmenspacht gute und schlechte Wirtschaftsperioden abwechseln.
Fazit und Kommentar
Als „Hüter der Verfassung“ ist die wichtigste Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit und deren Aufhebung im Fall ihrer Verfassungswidrigkeit. Anhand dieses Maßstabes hat der VfGH daher in der Regelung des § 1105 ABGB ua keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkennen können und daher den Antrag auf (teilweise oder gänzliche) Aufhebung des § 1105 als verfassungswidrig ab- bzw zurückgewiesen.
Wie der VfGH selbst festhält, sind (Geschäftstraum-)Miete und Unternehmenspacht teilweise schwierig voneinander abzugrenzen. In der Praxis stoßen die gängigen Differenzierungen zwischen Miete als Überlassung einer Sache zum bloßen Gebrauch und dagegen die Pacht als Überlassung der Sache zu Gebrauch und Fruchtziehung, dh selbstständige Bewirtschaftung des Pachtobjektes, regelmäßig an ihre Grenzen. Stellt man auf diese weiten Formulierungen ab, könnten im Einzelfall wohl manche Verträge weiterhin je nach Heranziehung und Bewertung einzelner Unterscheidungskriterien sowohl als Pacht- als auch Mietverträge qualifiziert werden.
Insbesondere da der VfGH weiter an den sehr unterschiedlichen Rechtsfolgen für unterschiedliche Bestandverträge festhält, kommt der detaillierten Gestaltung eines Vertrages im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Miete und Pacht in der Praxis weiterhin große Bedeutung zu.