Auswirkungen des Coronavirus auf das Vergaberecht (Teil 1)
Autorinnen: Dr. Stefanie Werinos-Sydow; Mag. Katharina Scholz; Mag. Theresa Karall; Mag. Sandra Kasper
Die aktuellen durch Covid-19 verbundenen Beschränkungen wirken sich auch auf das Vergaberecht und die damit in Zusammenhang stehenden Akteure aus. Auftraggeber und Bieter müssen zum Teil Vergabeverfahren aus dem Home-Office heraus abwickeln. Die e-Vergabe ist sicherlich von Vorteil und ermöglicht auch weiterhin die Abwicklung von Vergabeverfahren. Welche Instrumente bietet das BVergG 2018 um auf diese massiven Veränderungen reagieren zu können?
BVergG 2018 ist weiterhin anwendbar
Vorweg, das BVergG 2018 ist auch in Krisenzeiten zwingend für öffentliche Auftraggeber anwendbar, sofern nicht ein Ausnahmetatbestand nach § 9 BVergG 2018 anwendbar ist. § 9 BVergG 2018 sieht jedenfalls keinen „per-se Krisentatbestand“ vor, Ausnahmen könnten sich lediglich aus bestimmen Geheimhaltungs- oder Sicherheitsaspekten heraus ergeben, wobei der Anwendungsbereich dieser Ausnahmebestimmungen sehr eng erscheint.
Fristenmanagement
Um Beschaffungen schneller abwickeln zu können, sieht das BVergG2018 beispielsweise bei offenen Verfahren eine Verkürzung der Angebotsfristen von 30 auf 15 Tage vor.
Dazu hat der öffentliche Auftraggeber die Dringlichkeit des Verfahrens hinreichend zu begründen. Diese Dringlichkeit ist unseres Erachtens im Vergabeakt entsprechend zu dokumentieren sowie in den Ausschreibungsunterlagen auszuführen, um die Verkürzung der Fristen zu rechtfertigen.
Zudem können im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung Bau- als auch Lieferverträge vergeben werden, wenn „äußerst dringliche, zwingende Gründe, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung oder in einem gemäß § 34 durchzuführenden Verhandlungsverfahren vorgeschriebenen Fristen einzuhalten“ (§ 35 Abs 1 Z 4 bzw. § 36 Abs 1 Z 4 BVergG 2018).
Für die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen müssen 3 Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: (i) Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses (die EB sprechen zB von einer Naturkatastrophe), (ii) Vorliegen von äußerst dringlichen und zwingenden Gründen, die die Einhaltung der Fristen der Regelverfahren nicht zulassen, und (iii) Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden dringlichen, zwingenden Gründen. Denkbar wäre dieser Anwendungsfall beispielsweise zur Beschaffung von Bauleistungen zur Errichtung von Akutkrankenhäusern zur Versorgung von Covid-19 Patienten (ähnlich wie in China).
Verkürzte Fristen sind aber wiederum für Bieter nicht immer dienlich. Gerade in Zeiten von Home-Office fällt es Bietern weitaus schwerer, alle Unterlagen zum Nachweis der Eignung innerhalb der vom Auftraggeber vorgesehenen Fristen zu beschaffen. Dies auch im Lichte der Tatsache, dass behördliche Stellen wie das Finanzamt und Sozialversicherungen nicht mehr im Vollbetrieb laufen und daher nicht mehr in gewohnter Geschwindigkeit auf Nachweisanforderungen reagieren können.
§ 68 BVergG 2018 sieht Grundsätze für die Bemessung von Fristen vor. Fristen sind so zu bemessen und festzusetzen, sodass den betroffenen Unternehmern ausreichend Zeit für die Vornahme der entsprechenden Handlungen, beispielsweise der Erstellung von Angeboten, verbleibt. Die Einschränkungen im normalen Bürobetrieb etwa durch die Umstellung auf Home-Office kann eine Fristerstreckung erfordern, welche jedoch einer Einzelfallbeurteilung unterliegt.
Nicht nur Bieter können um eine Fristerstreckung ansuchen, auch öffentliche Auftraggeber können proaktiv eine Fristverlängerung zur Abgabe eines Angebotes für alle Bieter vornehmen. Eine Verpflichtung zur Verlängerung ist allerdings per se nicht gegeben.
Weiterhin muss die Angebotsfrist gemäß § 72 Abs 1 BVergG 2018 verlängert werden, wenn eine Berichtigung der Ausschreibung für die Erstellung der Angebote wesentlich ist, zum Beispiel aufgrund zusätzlicher Informationen.
Einschränkung des Bieterkreises?
Ist es zulässig, Bieter aus Covid-19 Risikogebieten vorab auszuschließen? Dies ist natürlich nicht möglich. Im Vergabeverfahren gilt der Grundsatz der Nichtdiskriminierung aller Bewerber und Bieter. Ein Ausschluss vom Vergabeverfahren von Bietern aus Risikoländern aufgrund der derzeitigen Situation würde demnach eine unzulässige Diskriminierung darstellen.
Fraglich ist jedoch, ob Bieter aus Risikogebieten, in denen die Ein- und Ausreise untersagt ist oder eine Ausgangssperre verhängt wurde, leistungsfähig sind. Sollte es diesbezüglich Zweifel geben, ist dies vor einem etwaigen Ausschluss des Bieters mit diesem abzuklären. Es besteht ja auch die Möglichkeit, sofern in den Ausschreibungsunterlagen normiert, sich eines Subunternehmers zu bedienen, wodurch es Bietern ermöglicht wird, dennoch leistungsfähig zu sein.
Widerruf des Vergabeverfahrens
Sollte ein Auftraggeber ‚im worst case‘ nun keinen Bedarf mehr an der ausgeschriebenen Leistung haben, beispielsweise aufgrund mangelnder budgetärer Deckung, kann der Auftraggeber das Vergabeverfahren widerrufen. Zu beachten ist, dass ein Vergabeverfahren jedoch nur aus sachlichen Gründen widerrufen werden darf, da es in vielen Fällen zu vergeblichen Aufwendungen der Bieter führt.
Eine Verpflichtung zum Widerruf nach Ablauf der Angebotsfrist besteht dann, wenn Umstände bekannt werden, die, wären sie schon vor Einleitung des Vergabeverfahrens bekannt gewesen, eine Ausschreibung ausgeschlossen oder zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung geführt hätten, kein Angebot eingelangt ist oder nach dem Ausscheiden kein Angebot im Vergabeverfahren verbleibt.
Die Praxisgruppe Public & Regulatory Law berät und vertritt Sie nicht nur bei Fragen rund um das Thema Vergaberecht, sondern in allen Bereichen des öffentlichen Wirtschaftsrechts, insbesondere in den Bereichen Umweltrecht, Wasserrecht, Energierecht, Planungsrecht, Eisenbahnrecht und Life Science Bereich.