Richtlinie (EU) 2019/1152: Neuerungen zur Umsetzung von transparenten und vorhersehbaren Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union
Co-Autorin: Mag. Sophie Roberts
Die österreichische Gesetzgebung hat mit dem Bundesgesetzblatt I 2024/11 vom 27. März 2024 eine Reihe von Änderungen in verschiedenen arbeitsrechtlichen Normen vorgenommen. Diese Änderungen traten bereits am 28. März 2024 in Kraft und betreffen u.a. das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB), das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG), das Angestelltengesetz (AngG) und das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG).
Die Neuerungen zielen darauf ab, die Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union umzusetzen.
Die wichtigsten Änderungen betreffen den Dienstzettel, die Übernahme von Aus-, Fort- und Weiterbildungskosten durch Arbeitgeber:innen, das Recht auf Mehrfachbeschäftigung und den Motivkündigungsschutz.
1. Bisher geltende Informationspflichten
Wie in § 2 AVRAG normiert, waren Arbeitgeber:innen auch bisher dazu verpflichtet, Arbeitnehmer:innen unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Aufzeichnung über die wesentlichen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag auszuhändigen. Zudem war bisher auch bei einer Tätigkeitsverschiebung von Arbeitnehmer:innen ins Ausland von einer mehr als einmonatiger Dauer oder einer Änderung bestimmter Arbeitsbedingungen (wie beispielsweise die vorgesehene Verwendung) ein Dienstzettel, ein Auslandsdienstzettel oder ein Änderungsdienstzettel auszustellen. Dieselben Verpflichtungen bestehen gemäß § 1164a ABGB für Arbeitgeber:innen in Hinblick auf (bestimmte) freie Dienstnehmer:innen, wobei nun die Mindestinhalte des Dienstzettels für diese Gruppe ebenso geändert werden.
Wird hingegen ein schriftlicher Arbeitsvertrag, eine schriftliche Entsendevereinbarung oder eine schriftliche Änderungsvereinbarung geschlossen, worin die Inhalte des Dienstzettels, des Auslanddienstzettels oder des Änderungsdienstzettels miteingeschlossen waren, besteht nach wie vor keine Verpflichtung, zusätzlich einen Dienstzettel auszustellen.
1.1. Die Mindestinhalte des Dienstzettels sollen nun um die folgenden Punkte ergänzt werden:
- Hinweis auf das einzuhaltende Kündigungsverfahren,
- Sitz des Unternehmens,
- kurze Beschreibung der zu erbringenden Arbeitsleistung,
- die Vergütung von Überstunden,
- Angabe der Art der Auszahlung des Entgelts,
- Angaben zu den Bedingungen für die Änderung von Schichtplänen,
- Name und Anschrift des Trägers der Sozialversicherung,
- Angabe der Dauer und Bedingungen einer vereinbarten Probezeit
- eine Information über den Anspruch auf eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung.
Haben Arbeitnehmer:innen ihre Tätigkeit länger als einen Monat im Ausland zu verrichten, ist ihnen ein Auslandsdienstzettel auszustellen. Auch die Mindestinhalte des Auslandsdienstzettels werden künftig um folgende Punkte zu ergänzen sein:
- Angaben über den Staat, in dem die Arbeitsleistung erbracht werden soll,
- allenfalls Angaben hinsichtlich eines höheren Mindestentgelts nach den lohnrechtlichen Bestimmungen des Staates, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird,
- allfälliger Aufwandersatz nach anwendbaren österreichischen Bestimmungen und nach den Bestimmungen des Staates, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird – auch bei freien Dienstnehmer:innen,
- Hinweis auf die Website des Staates nach Art 5 Abs. 2 der RL 2014/67/EU , in dem die Tätigkeit erbracht wird,
- Angabe der Währung, in der das Entgelt auszuzahlen ist (auch wenn die Auszahlung in Euro erfolgt).
Der Auslandsdienstzettel ist Arbeitnehmer:innen nunmehr vor deren Abreise auszuhändigen.
1.2. Änderungen im Hinblick auf die Form der Dienstzettelübermittlung und die zeitlichen Grenzen bei Änderungsdienstzettelübermittlung
Der Dienstzettel, der Arbeitnehmer:innen unverzüglich nach Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich auszuhändigen ist, ist nunmehr nach Wahl der Arbeitnehmer:innen wahlweise auch in elektronischer Form zu übermitteln. Dasselbe gilt hinsichtlich der Ausstellung von Auslands- und Änderungsdienstzettel, über deren schriftliche oder elektronische Zustellung somit zukünftig Arbeitnehmer:innen entscheiden können.
Im Hinblick auf Änderungsdienstzettel, die bei etwaigen Änderungen von Inhalten des Dienstzettels auszustellen sind, sind zudem zeitliche Neuerungen zu beachten. Bisher waren Änderungen der Dienstzettelinhalte Arbeitnehmer:innen unverzüglich, spätestens jedoch einen Monat nach ihrer Wirksamkeit schriftlich mitzuteilen. Die Neuregelung bringt eine Vorverlegung dieser Frist mit sich, womit Änderungen von Dienstzettelangaben nunmehr am Tag ihres Wirksamwerdens mitzuteilen sind. Bestehen bleiben allerdings die gesetzlichen Ausnahmen von der Verpflichtung zur Ausstellung eines Änderungsdienstzettels.
§ 2 Abs. 5 AVRAG soll insofern ergänzt werden, als nunmehr auch die für den Dienstzettel vorgesehenen Angaben zur Dauer und Bedingungen einer vereinbarten Probezeit und den allfälligen Anspruch auf eine von Arbeitgeber:innen bereitgestellte Fortbildung durch Verweisung auf die für das Arbeitsverhältnis geltenden Bestimmungen in Gesetzen oder in Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder in betriebsüblich angewendeten Reiserichtlinien erfolgen können.
1.3. Wegfall der Ausnahmebestimmung hinsichtlich von Dienstverhältnissen von maximal einmonatiger Dauer
Die Ausnahmebestimmung, wonach die Verpflichtung zur Aushändigung eines Dienstzettels bei Dienstverhältnissen von maximal einmonatiger Dauer nicht besteht, entfällt. Demnach ist zukünftig ein Dienstzettel auch dann auszustellen, wenn das Arbeitsverhältnis für höchstens einen Monat abgeschlossen wird. Im Fall einer Tätigkeit im Ausland müssen die notwendigen Angaben in anderen schriftlichen Unterlagen festgehalten sein.
1.4. Sanktionen bei Verletzung der Dienstzettelpflicht
Für den Fall, dass kein ordnungsgemäßer Dienstzettel ausgestellt wird, gelten mit den Neuregelungen Sanktionen, die sich in höheren Verwaltungsstrafen und Neuerungen im Bereich des Kündigungsschutzes realisieren:
- Einerseits drohen Arbeitgeber:innen bei Nichtaushändigung eines Dienstzettels Verwaltungsstrafen, die von EUR 100,– bis EUR 500,– bemessen sein sollen. Eine Erhöhung auf EUR 500,– bis zu EUR 2000,– ist vorgesehen, sollten mehr als fünf Arbeitnehmer:innen betroffen sein, oder sollte es sich um einen Wiederholungsfall binnen drei Jahren handeln.
- Angeordnet wird, dass unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer:innen die Arbeitgeber:in eine einzige Verwaltungsübertretung begeht (Kumulativprinzip). Dieser Satz bezieht sich aber nur auf den 1. Fall (höherer Strafrahmen) im zweiten Satz („sind mehr als fünf Arbeitnehmer … betroffen“ …) des § 7a AVRAG. Liegt dieser 1. Fall des zweiten Satzes nicht vor – d.h., es sind nur bis zu 5 Arbeitnehmer:innen betroffen –, liegt pro betroffener Arbeitnehmer:in jeweils eine Verwaltungsübertretung vor; es ist aber der niedrigere Strafrahmen anzuwenden. Die Bezirksverwaltungsbehörde soll nach Einleitung des Strafverfahrens zudem von der Verhängung einer Geldstrafe absehen können, sofern betroffenen Arbeitnehmer:innen nunmehr bereits nachweislich ein Dienstzettel ausgehändigt wurde und das Verschulden gering war.
1.5. Motivkündigungsschutz
Erfolgen Kündigungen aus dem alleinigen Beweggrund, dass Arbeitnehmer:innen die Ausstellung eines Dienstzettels verlangen, so steht den betreffenden Arbeitnehmer:innen zukünftig ein Recht zur Kündigungsanfechtung zu (Motivkündigungsschutz – § 15 Abs. 1 AVRAG). Zudem können Arbeitnehmer:innen vorab eine schriftliche Begründung der Kündigung verlangen. Machen sie hiervon nicht Gebrauch, erlischt ihr Recht auf die schriftliche Begründung. Die Arbeitgeber:in muss die schriftliche Begründung binnen 5 Kalendertagen ab dem Zugang des Verlangens ausstellen. Der Umstand, dass eine schriftliche Begründung nicht übermittelt wurde, ändert jedoch nichts an der Rechtswirksamkeit der Beendigung.
2. Recht auf Mehrfachbeschäftigung
Das Recht der Arbeitnehmer:innen, ein weiteres Arbeitsverhältnis mit anderen Arbeitgeber:innen einzugehen und nicht aus diesem Grund im bestehenden Arbeitsverhältnis benachteiligt zu werden, wird in § 2i Abs. 1 AVRAG festgelegt. Einzelfallabhängig ist es möglich, eine Beschäftigung in einem weiteren Arbeitsverhältnis zu untersagen, sofern diese mit arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen unvereinbar ist oder nachteilige Auswirkungen auf die Verwendung von Arbeitnehmer:innen im bestehenden Arbeitsverhältnis hat. Das in § 7 Abs. 1 AngG normierte Konkurrenzverbot bleibt unverändert weiterhin bestehen. Kündigungen, die wegen des Verlangens von Arbeitnehmer:innen nach einer (zulässigen) Mehrfachbeschäftigung erfolgen, fallen ebenfalls unter den Motivkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 AVRAG.
3. Aus-, Fort- und Weiterbildungskosten
Eine gesetzliche Neuregelung zu den Aus-, Fort- und Weiterbildungskosten wird durch den neuen 11b AVRAG gesetzlich festgelegt werden, wonach die Teilnahme der Arbeitnehmer:innen an Aus-, Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen jeweils als Arbeitszeit gilt. Zudem sollen Arbeitgeber:innen die Kosten für die genannten Maßnahmen dann übernehmen, wenn sie nicht von dritter Seite (z.B. AMS) getragen werden. Davon sollen jene Aus-, Fort- oder Weiterbildungsmaßnahmen betroffen sein, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften, Verordnungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages für die Ausübung der arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit erforderlich, demnach verpflichtend sind. Zulässig sind nur Abweichungen zu Gunsten der Arbeitnehmer:innen.
4. Ausweitung des Benachteiligungsverbots der Tatbestände
Arbeitnehmer:innen dürfen als Reaktion auf die Geltendmachung ihrer Rechte in Zusammenhang mit der Ausstellung des Dienstzettels, der Mehrfachbeschäftigung und der Aus-, Fort- und Weiterbildung weder gekündigt noch entlassen oder auf andere Weise benachteiligt werden.