Änderungen im Verwaltungsrechtlichen COVID-19 Begleitgesetz
Autorinnen: Dr. Stefanie Werinos-Sydow; Mag. Sandra Kasper; Mag. Theresa Karall
Nach dem weitreichenden „Lockdown“ der letzten Wochen, befinden wir uns nun seit Anfang Mai in der Phase der schrittweisen „Entschärfungen“. Maßnahmen werden abgebaut, der Weg zurück in die Normalität wird eingeleitet. So auch im Verwaltungsverfahren.
Waren noch zu Beginn der COVID-Pandemie mündliche Verhandlungen (mit Ausnahme von audiovisuellen Vernehmungen und dergleichen) sowie der physische Parteienverkehr nur unter strengen Ausnahmen und nur wenn unbedingt erforderlich zulässig (vgl COVID-19-VwBG idF BGBl I Nr 16/2020), erfuhr diese Regelung nun mit dem durch das 12. COVID-Gesetz, BGBl I Nr 42/2020, geänderten § 3 – nicht ganz unproblematische – Lockerungen.
Mündlicher Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten
Mündliche Verhandlungen, Vernehmungen, Augenscheine und Beweisaufnahmen dürfen nun grundsätzlich wieder abgehalten werden (dh grundsätzlich wieder die Regel und nicht mehr die Ausnahme). Dies aber nur dann, wenn der obligatorische Sicherheitsabstand von 1 m eingehalten und eine mechanische Schutzvorrichtung zur Abdeckung des Mund- und Nasenbereichs getragen wird (ausgenommen: Kinder bis 6 Jahre und Personen, denen das Tragen der Schutzvorrichtung aus gesundheitlichen Gründen nicht zugemutet werden kann). Der Leiter der Amtshandlung hat für die Einhaltung dieser Maßnahmen zu sorgen.
Die „elektronische Amtshandlung“ als Alternative
Alternativ kann die Behörde die Amtshandlung unter Zuhilfenahme von geeigneten technischen Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung durchführen. Zwar stellt diese Möglichkeit – aus menschlicher Perspektive – in der nach wie vor aufrechten Infektionsphase eine echte Alternative dar; aus verfahrensrechtlicher Perspektive ist diese Alternative bzw die gewählte legistische Lösung nicht ganz unkritisch:
Um eine elektronische Amtshandlung durchführen zu können, hat die Behörde zuvor sämtliche Parteien, Beteiligte, Sachverständige etc aufzufordern bekanntzugeben, ob ihnen solche technischen Einrichtung zur Wort- und Bildübertragung überhaupt zur Verfügung stehen. Interessant ist die legistische Lösung, dass, wenn solche technischen Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen, die Behörde die Amtshandlung einfach ohne die betreffende Person abhalten kann. Alternativ muss die Behörde dieser Person „in sonst geeigneter Weise Gelegenheit geben“ ihre Rechte auszuüben bzw an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken. Welche geeignete Weise das sein könnte, verschweigt das Gesetz. Hier wird wohl die behördliche Praxis abzuwarten sein.
Ist gesetzlich vorgesehen, dass Beteiligte spätestens während der mündlichen Verhandlung Einwendungen erheben können, diese Beteiligten aber mangels technischer Möglichkeiten nicht an der „elektronischen Verhandlung“ teilnehmen können und auch bis dahin keine Einwendungen erhoben haben, sieht das 12. COVID-Gesetz eine konstruktive, wenn auch aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten nicht ganz unheikle, Lösung vor: Die betreffende Person kann sich spätestens drei Tage nach Abhaltung der elektronischen Verhandlung an die Behörde wenden und die nachträgliche Gelegenheit zur Erhebung von Einwendungen verlangen. Nach Eingehen eines solchen Verlangens hat die Behörde der betreffenden Person die Verhandlungsschrift zu übermitteln und Ihr gleichzeitig die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen unter Setzung einer bestimmten (arg „angemessenen“) Frist zu geben – dies unter dem Hinweis auf die Präklusionsfolgen bei Versäumung.
Es ist zu hoffen, dass durch diese Interimsmöglichkeiten Verfahren nicht unnötig hinausgezögert werden oder, dass die Situation ausgenutzt wird und bestimmte Verfahren zu „Opfern“ von Verschleppungstaktiken werden.
Fälle des verpflichtenden mündlichen Verkehrs
Wenn es zur „Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich ist“ und eine andere Form als der mündliche Verkehr nicht möglich ist, sind die Behörden ab nun verpflichtet, mit Parteien, Beteiligten etc mündlich zu verkehren. Ebenso sind sie verpflichtet, bei Gefahr in Verzug oder wenn der Einschreiter der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist, mündliche Anbringen entgegenzunehmen.
Konkretere Angaben über die tatsächliche Anlasssituation sind der Bestimmung nicht zu entnehmen. Es ist aber anzunehmen, dass hier wohl auch ein zumindest ähnlicher Maßstab als in der Stammfassung anzuwenden ist: Nach Sinn und Zweck des Gesetzes soll wohl der physische Kontakt zwar nun wieder die Grundregel sein, aber nach wie vor auf ein Minimum beschränkt werden. Es ist davon auszugehen, dass dann ein mündlicher Verkehr im staatlichen Interesse möglich ist, sowie auch solche Handlungen unerlässlich sind, die nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei dringend geboten sind. Dies jedoch nur dann, wenn das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie an der Aufrechterhaltung eines geordneten Behördenbetriebs die Einzelinteressen nicht überwiegt. Letztlich hat dies jede Behörde für den konkreten Einzelfall zu entscheiden.
Der neue § 3 des COVID-19-VwBG trat mit 15.05.2020 in Kraft. Das COVID-19-VwBG bleibt – bislang unverändert – weiterhin bis 31.12.2020 in Kraft.