Distressed Real Estate
Autor: Mag. Philipp Grohmann
Im Zuge der Coronavirus-Pandemie bzw. den damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen durch landesweite „Lockdowns“ sowie dem Einbruch des Tourismus hatten zahlreiche Wirtschaftssparten mit massiven Umsatzeinbrüchen zu kämpfen. Während beispielsweise der vom Online-Handel mehr und mehr bedrängte Einzelhandel durch die weitreichenden Einschränkungen zusätzlich unter Druck geriet, wurde insbesondere die Hotel- und Freizeitindustrie durch monatelange gänzliche Schließungen sowie auch abseits der Lockdowns aufgrund der weltweit ausgerufenen Reisebeschränkungen und der generellen Verunsicherung der Bevölkerung hart getroffen.
Da insbesondere Letztere oft über ein beträchtliches Immobilienvermögen verfügen, stellt sich im Zuge der Krise oft die Frage, wie mit diesen „Distressed Assets“ umzugehen ist. Oftmals sind die Verkäufe im Rahmen einer Restrukturierung unausweichlich. Dadurch ergeben sich für Käufer (und auch Verkäufer) meist eine Reihe von unternehmerischen Chancen, deren Umsetzung unter Beiziehung von Rechts- und Steuerberatern erfolgen sollte.
Was versteht man unter Distressed Real Estate?
Der Begriff „Distressed Real Estate“ kann je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben. „Distressed“ deutet dabei in der Regel auf ein Unternehmen in einer „finanzwirtschaftlichen Notsituation“ hin. Grundsätzlich versteht man unter einer „notleidenden“ Immobilie daher eine solche, die aufgrund der finanziellen Schieflage des Eigentümers meist unter hohem Druck verkauft werden muss, um eine Insolvenz zu verhindern.
Bezogen auf die vorhin erwähnte Hotellerie handelt es sich dabei meist um jene Objekte, deren Lage oder Position am Markt mit der Zeit unattraktiv geworden ist oder dessen Bauzustand sich aufgrund unterlassener Investitionen verschlechtert hat. Teilweise können die betroffenen Liegenschaften durch massive Investitionen zurück in die Erfolgsspur gebracht werden, meist liegt der einzige Ausweg jedoch in einem Verkauf und einer Weiterverwendung unter einem geänderten Nutzungskonzept oder gar der Demolierung des Objekts.
Distressed Real Estate und COVID-19
Die Hotel- und Freizeitindustrie gehört zu den am stärksten von den Einschränkungen im Zuge der COVID-19 Pandemie getroffenen Sparten. So kam es während des Lockdowns zwischen Mitte März und Ende Mai 2020 praktisch zu einem Totalausfall. Zwischen Mai und Juni gingen die Nächtigungen der österreichischen Beherbergungsbetriebe im Schnitt um 70% zurück. Insgesamt ergab sich daraus ein Minus von 38% bei den Ankünften und 29,1% bei den Nächtigungen bis Ende August sowie von 44,7% bei den gesamten Tourismuseinnahmen. In Wien ergab sich aufgrund des generell im Verhältnis noch massiver eingebrochenen Städtetourismus gar ein Minus bei den Tourismuseinnahmen von 85,7%. Im Schnitt entgeht jedem Hotel in Österreich im Zeitraum Mai bis Oktober 2020 ein Umsatz zwischen EUR 130.000 und 150.000.
Es ist nach Auslaufen der derzeit angebotenen Unterstützungen wie dem Fixkostenzuschuss, der Kurzarbeit und dem Umsatzersatz im November und Dezember daher zwangsläufig mit einem deutlichen Anstieg von Hotels in finanzieller Schieflage und demnach in weiterer Folge auch von Distressed Real Estate am Markt zu rechnen.
Chance und Risiko
Da „Distressed“ Vermögenswerte aufgrund der nachteiligen Position des Veräußerers oftmals unter dem regulären Marktpreis angeboten werden, ergeben sich für einen Investor so oftmals günstige Investitionsmöglichkeiten. Um Grundlagen, Chancen und Risiken des geplanten Erwerbs abzuklären, ist jedoch zwingend eine ausreichende rechtliche und wirtschaftliche Due Diligence Prüfung vorzunehmen.
Insolvenzrecht
Aus insolvenzrechtlicher Sicht gilt es in erster Linie das Insolvenzrisiko des Veräußerers abzuschätzen, da die Transaktion anfechtbar sein könnte, sofern über das Vermögen des Veräußerers innerhalb der kritischen Frist nach dem Asset oder Share Deal ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Aufgrund des meist vorherrschenden Zeitdrucks bei der Veräußerung von Immobilien in der Krise, für welche statt der üblichen Frist von 3 Monaten bis zu einem Jahr meist nur wenige Wochen oder gar Tage zur Verfügung stehen, ist hierbei besonders effizientes Arbeiten von Nöten.
Darüber hinaus stellen jegliche Ansprüche des Erwerbers hinsichtlich Gewährleistung, Garantie oder Schadenersatz im Falle der Insolvenz des Veräußerers lediglich Insolvenzforderungen dar, welche demnach oftmals nur mit der üblichen Insolvenzquote im einstelligen Prozentbereich befriedigt werden können. Dieser Umstand sollte jedenfalls bei der Kaufpreisfindung berücksichtigt werden.
Haftung
Zu bedenken gilt es aus Sicht des Erwerbers zudem die Bestimmungen bezüglich der Nachfolgerhaftung des § 38 UGB sowie § 1409 ABGB. Während beim Kauf im Zuge eines Share Deals grundsätzlich aufgrund des gleichbleibenden Unternehmensträger sämtliche Risiken, welche mit der insolvenzgefährdeten Gesellschaft verbunden sind, auf den Anteilserwerber übergehen, bieten sich beim Erwerb in Form eines Asset Deals mehr Gestaltungsmöglichkeiten an. Zwar sieht § 38 UGB ebenfalls einen Übergang sämtlicher zum Zeitpunkt der Übertragung entstandener Rechtsverhältnisse und daher eine unbeschränkte Erwerberhaftung für unternehmensbezogene Altverbindlichkeiten vor, jedoch ist diese Bestimmung dispositiv und kann daher im Rahmen der Transaktion unter Beachtung bestimmter Formvorschriften ausgeschlossen werden.
Nicht zur Parteiendisposition steht jedoch die zwingende Erwerberhaftung nach § 1409 ABGB, nach welcher der Erwerber eines Unternehmens zwingend den unternehmensbezogenen Schulden beitritt. § 1409 kommt dabei jedoch nur zur Anwendung, wenn (im Wesentlichen) das gesamte Vermögen des Veräußerers auf den Erwerber übergeht, was im Falle der Veräußerung einer Hotelimmobilie oftmals denkbar wäre. Die Haftung ist dabei mit dem Betrag des übernommenen Vermögens beschränkt und bezieht sich nur auf jene Altschulden, die der Erwerber kannte oder kennen musste.
Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten
Da der Kauf eine krisenbehaftete Immobilie sowie deren wirtschaftliche Nutzbarkeit naturgemäß mit einigen Risiken verbunden ist, kann der Erwerber diese Risiken durch entsprechende Vertragsgestaltung zumindest minimieren. Denkbar wäre hier beispielsweise eine aufschiebende Bedingung, dass zwischen Signing und Closing keine wesentliche nachteilige Veränderung der wirtschaftlichen Nutzbarkeit der Immobilie eintritt oder die Vereinbarung von sogenannten Earn-Out-Klauseln. Bei Letzteren wird zunächst bloß ein Anteil des Kaufpreises bezahlt wobei sich die Höhe des in weiterer Folge noch zu entrichteten Anteils beispielsweise nach dem mit der Immobilie jährlich erwirtschafteten Umsatzes richtet. Dadurch wird mitunter ein beträchtlicher Teil des wirtschaftlichen Risikos auf den Veräußerer überwälzt.
Fazit
Käufe von Immobilien oder ganzen Unternehmen in der Krise bieten für den Erwerber oftmals günstige Investitionsmöglichkeiten und somit unternehmerische Chancen. Da mit einem solchen Erwerb jedoch zahlreiche Risiken verbunden sein könnte, ist unbedingt auf eine sorgfältige Due Diligence und eine entsprechende vertragliche Absicherung des Erwerbers zu sorgen. Der gesamte Prozess sollte daher von Beginn an unter Beiziehung von Rechtsanwälten und Steuerberatern durchgeführt werden.
[1] Prodinger-Analyse „Prognose der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die österreichischen Beherbergungsbetriebe für die Wintersaison 2020/21“ im Auftrag der WKO.