EuGH: Nationale Verjährungsfristen, die der Rückforderung einer Beihilfe entgegenstehen, sind nicht anzuwenden
Autor:innen: Dr. Stefanie Werinos-Sydow, Dr. Konstantin Köck LL.M. MBA (DUK) LL.M. (SCU)
In einem aktuellen Fall (C‑627/18, Nelson Antunes da Cunha Lda gegen Instituto de Financiamento da Agricultura e Pescas IP) musste der EuGH entscheiden, ob rechtswidrige Beihilfen auch noch dann gemäß Art 17 Abs 1 der Verordnung 2015/1589 innerhalb von zehn Jahren nach ihre Gewährung von der EU-Kommission zurückgefordert werden können, wenn ihre Rückforderbarkeit nach den nationalen Vorschriften bereits verjährt ist.
Ausgangsfall
Ein portugiesisches Unternehmen aus dem Landwirtschaftssektor hatte im Jahr 1994 Beihilfen in Form von Zinszuschüssen durch den portugiesischen Staat erhalten. Die zugrundeliegende Beihilfenregelung war im Vorfeld weder gegenüber der EU-Kommission notifiziert noch von dieser genehmigt worden.
Und so kam es, wie es kommen musste: die Beihilferegelung wurde von der EU-Kommission im Jahr 1999 als mit dem gemeinsamen Markt unvereinbare erklärt und Portugal dazu aufgefordert, die Beihilferegelung aufzuheben und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die bereits rechtswidrig gewährten Beihilfen von den Empfängern zurückzufordern.
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
Das portugiesische Unternehmen, das die unzulässigen Beihilfen erhalten hatte, wurde im Jahr 2002 von den portugiesischen Behörden dazu aufgefordert, die zu Unrecht erhaltenen Beihilfen zurückzubezahlen. Es weigerte sich allerdings dieser Aufforderung nachzukommen. Seines Erachtens war nämlich der Rückforderungsanspruch bereits seit dem Jahr 2000 verjährt, zumal die portugiesischen Gesetze eine Verjährungsfrist von fünf Jahren für die Rückforderung von rechtswidrig gewährten Beihilfen vorsehen.
In seinem Vorabentscheidungsersuchen stellte das portugiesische Gericht dem EuGH insbesondere die Frage, ob die portugiesische Verjährungsfrist von fünf Jahren den unionsrechtlichen Grundsätzen der Effektivität und der Unvereinbarkeit von staatlichen Beihilfen mit dem Binnenmarkt entgegenstehe, zumal rechtswidrige Beihilfen von der EU-Kommission gemäß Art 17 Abs 1 der Verordnung 2015/1589 auch noch zehn Jahren nach ihre Gewährung zurückgefordert werden können.
Der EuGH traf eine klare Entscheidung: die EU-Kommission kann innerhalb der in Art 17 Abs 1 der Verordnung 2015/1589 vorgesehenen Frist von zehn Jahren stets die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe verlangen, und zwar ungeachtet des möglichen Ablaufs der im nationalen Verfahren geltenden Verjährungsfrist (in diesem Sinne auch Eesti Pagar, C‑349/17, Rn 114). Das gleiche gilt für die Zinsen, die auf eine rechtswidrige Beihilfe anfallen. Auch diese müssen zur Gänze zurückbezahlt werden.
Jedes andere Ergebnis hieße, die vollständige Rückforderung einer Beihilfe praktisch unmöglich zu machen und den Unionsvorschriften über die staatlichen Beihilfen jede praktische Wirksamkeit zu nehmen (in diesem Sinne auch Alcan Deutschland, C‑24/95, Rn 37).
Nach der Ansicht des EuGH darf der Grundsatz der Rechtssicherheit, den die Verjährungsfristen gewährleisten sollen, die Rückforderung einer für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilfe nicht erschweren oder verhindern. Eine nationale Verjährungsfrist, die auf die Beitreibung einer zurückzufordernden Beihilfe anwendbar ist, die abgelaufen ist, noch bevor der Rückforderungsbeschluss der EU-Kommission erlassen wurde, ist daher von den nationalen Gericht unangewendet zu lassen.
Das portugiesische Unternehmen kann sich zudem nicht auf ein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der in Rede stehenden Beihilfe berufen, da diese von der Portugiesischen Republik ohne vorherige Anmeldung bei der EU-Kommission gewährt wurde. Da die nationale Behörde kein Ermessen besitzt, ist der Empfänger einer rechtswidrig gewährten Beihilfe nicht mehr im Ungewissen, sobald die EU-Kommission eine Entscheidung erlassen hat, in der die Beihilfe für unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung verlangt wird (in diesem Sinne auch Alcan Deutschland, C‑24/95, Rn 36).
Fazit
Seit dem Jahr 1976 urteilt der EuGH, dass die Mitgliedstaaten beim Vollzug des Unionsrechts zwar auf ihr nationales Recht zurückgreifen, dabei jedoch die Durchsetzung des Unionsrechts nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).
Das gleiche gilt im vorliegenden Fall: Die Anwendung der nationalen portugiesischen Verjährungsregeln würde eine Durchsetzung der Entscheidung der EU-Kommission, die gegenständliche Beihilferegelung aufzuheben und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die bereits rechtswidrig gewährten Beihilfen von den Empfängern zurückzufordern, unmöglich machen.
Das Rückforderungsrecht steht bei der EU-Kommission, die Rückforderungspflicht beim Mitgliedstaat, der die rechtswidrige Beihilfe geleistet hat. Da es dem Mitgliedstaat verwehrt ist, sich der Rückforderungspflicht durch innerstaatliche Maßnahmen (seien es solche der Gesetzgebung, der Rechtsprechung oder der Verwaltung) zu entziehen, kann er dies selbst dann nicht tun, wenn das (primäre oder sekundäre) Unionsrecht bestimmt, dass das Verfahren der Rückforderung gegen den Beihilfeempfänger nach dem innerstaatlichen Recht durchzuführen ist. Der betreffende Mitgliedstaat ist nämlich dazu verpflichtet, seine diesbezüglichen Verfahrensregeln so zu gestalten, dass sie dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz entsprechen.
Ist der Mitgliedstaat dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, und hat er in sein Verfahrensrecht Bestimmungen aufgenommen, die ihm der Beihilfeempfänger zur Abwehr der Rückforderung entgegenhalten könnte (etwa eine kürzere als die im Unionsrecht vorgesehene Verjährung des Rückforderungsrechtes), so darf er diese im Vergleich zum Unionsrecht „günstigeren“ nationalen Bestimmungen nicht anwenden. Daher sind auch im vorliegenden Fall die portugiesischen Verjährungsregeln vom portugiesischen Gericht unangewendet zu lassen.