Gender Balance – neue EU-Richtlinie für börsenotierte Gesellschaften
Das Europäische Parlament hat am 22. November 2022 eine Richtlinie verabschiedet, die eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern unter den “Direktoren“ börsenotierter Gesellschaften gewährleisten soll. Der zu Grunde liegende Vorschlag wurde knapp ein Jahrzehnt lang blockiert, ehe man sich auf EU-Ebene Anfang 2022 einigen konnte.
Der Titel der Richtlinie ist zwar neutral gewählt, allerdings ist das Ziel ganz eindeutig. Bis Juli 2026 müssen alle großen börsenotierten Unternehmen in der EU dafür sorgen, dass es mehr Frauen in ihren Führungsetagen gibt. Mindestens 40 % der Posten nicht geschäftsführender Direktoren bzw. 33 % aller (also geschäftsführender und nicht geschäftsführender) Unternehmensleitungsposten sollen von dem unterrepräsentierten Geschlecht besetzt werden. In Österreich versteht man unter einer nicht geschäftsführenden Unternehmensleitungsposition ein Mandat im Aufsichtsrat (der Aufsichtsrat in Österreich hat den Vorstand zu überwachen und ist ein Kontrollorgan) und unter einer geschäftsführenden Unternehmensleitungsposition einen Sitz im Vorstand (das Leitungsorgan einer AG).
Im Detail bedeutet dies, dass unter den nicht geschäftsführenden Direktoren in Leitungsorganen börsenotierter Gesellschaften bis 2026 mindestens 40 % von Mitgliedern des unterrepräsentierten Geschlechts besetzt werden sollten. Wenn Mitgliedstaaten sich dafür entscheiden, die neuen Vorschriften sowohl auf geschäftsführende als auch auf nicht geschäftsführende Direktoren anzuwenden, würde das Ziel 33 % aller Direktorenpositionen bis 2026 betragen. Es fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats (und nicht der Unternehmen), zwischen den beiden Zielvorgaben (40 % der nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder oder 33 % aller Mitglieder der Leitungsorgane) zu wählen. Für kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, gelten die Vorschriften der Richtlinie nicht.
Weiters regelt die Richtlinie, dass börsenotierte Gesellschaften, die die Ziele nicht erreichen, ihr Auswahlverfahren anpassen müssen. Sie müssen faire und transparente Auswahl- und Ernennungsverfahren einführen, die auf einem Vergleich der verschiedenen Bewerbenden auf der Grundlage klarer und neutral formulierter Kriterien beruhen. Wenn Unternehmen zwischen gleichermaßen qualifizierten Kandidaten wählen müssen, sollten sie der Person des unterrepräsentierten Geschlechts Vorrang einräumen.
Börsenotierte Unternehmen müssen den zuständigen Behörden einmal jährlich Informationen über die Vertretung von Frauen und Männern in ihren Leitungsorganen vorlegen. Haben sie die gesetzten Ziele nicht erreicht, müssen sie mitteilen, wie sie diese künftig erreichen wollen. Diese Informationen werden auf der Website des Unternehmens (also in leicht zugänglicher Form) veröffentlicht.
Ein Land, das vor Inkrafttreten der Richtlinie dem Erreichen der Ziele nahe gekommen ist oder gleich wirksame Rechtsvorschriften erlassen hat, kann die Anforderungen der Richtlinie in Bezug auf das Ernennungs- oder Auswahlverfahren aussetzen.
Bereits heute regelt § 86 Abs 7 AktG, dass in börsenotierten Gesellschaften sowie in Aktiengesellschaften, in denen dauernd mehr als 1 000 Arbeitnehmer:innen beschäftigt sind, der Aufsichtsrat zu mindestens 30 Prozent aus Frauen und zu mindestens 30 Prozent aus Männern bestehen soll (sofern der Aufsichtsrat aus mindestens sechs Mitgliedern und die Belegschaft zu mindestens 20 Prozent aus Arbeitnehmerinnen beziehungsweise Arbeitnehmern besteht).
Die Mitgliedstaaten müssen wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Sanktionen (zB Geldbußen) für Unternehmen vorsehen, in denen es keine offenen und transparenten Einstellungsverfahren gibt.
Es bleibt abzuwarten, wie der österreichische Gesetzgeber die Richtlinie im österreichischen Recht verankern möchte.