Zivilrecht Update: Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern
Co-Autorin: Mag. Sabine Brunner, LLB.oec.
Entwurf der Richtlinie zuletzt vom EU-Parlament geändert
Im April 2018 präsentierte die Europäische Kommission im Rahmen des „New Deal for Consumers“ ihren Vorschlag für eine Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern. Ziel der Richtlinie ist es, qualifizierten repräsentativen Einrichtungen (sogenannten „Interessenverbänden“) zu ermöglichen, mittels Verbandsklage gegen unionsrechtliche Verstöße, die den Kollektivinteressen der Verbraucher schaden, vorzugehen.
Während Konsumentenschützer europaweit aufjubeln, zeigen sich Wirtschaftsvertreter von dem Richtlinienentwurf nur wenig begeistert (siehe Medienberichte).
Status Quo in Österreich
Derzeit gibt es in Österreich für einzelne Verbände lediglich auf Basis des UWG und des KSchG die Möglichkeit, in bestimmten Fällen der (vermeintlichen) Benachteiligung von Verbrauchern Unterlassungsklage zu erheben. Voraussetzung ist das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr.
Daneben gibt es auch die Möglichkeit für eine sogenannte Verbandsmusterklage, bei der ein geschädigter Verbraucher seinen Anspruch an einen Verband abtreten kann. Jeder weitere Geschädigte muss jedoch seinen Anspruch in einem separaten Zivilverfahren durchsetzen.
Gesetzlich nicht verankert ist die sogenannte „Sammelklage österreichischer Prägung“, die sich aus der Verbandsmusterklage entwickelt hat. Dabei treten mehrere geschädigte Verbraucher ihre Ansprüche an Dritte ab (zB Verein für Konsumenteninformation, Arbeiterkammer). Der Dritte klagt die Ansprüche im eigenen Namen ein. Diese Möglichkeit wird auf die in der ZPO verankerte „objektive Klagehäufung“ (§ 227 ZPO) gestützt. Für sämtliche Ansprüche müssen ein gleichartiger Anspruchsgrund und gleiche Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Natur vorliegen.
Österreichische Konsumentenschützer sind mit der derzeitigen Rechtslage nicht zufrieden. Die „psychologische Hemmschwelle“ für Verbraucher, ihre Ansprüche abzutreten, sei schlichtweg zu hoch.
Aktuelles zum Richtlinienvorschlag
Im Zuge der ersten Lesung am 26. März 2019 nahm das Europäische Parlament weitreichende Änderungen des ursprünglichen Vorschlags vor. Zu den wichtigsten Punkten in Kürze:
(1) Kollektivinteressen
Unter Kollektivinteressen sind die Interessen mehrerer Verbraucher zu verstehen. Nach dem Richtlinienentwurf reicht allerdings aus, wenn bereits zwei Verbraucher betroffen sind.
(2) Verbandsklagen
Der Entwurf sieht vor, dass Interessenverbände und bestimmte öffentliche Stellen vor nationalen Gerichten oder Verwaltungsbehörden Verbandsklagen zur Erwirkung folgender Maßnahmen erheben können:
- Einstweilige Verfügung (Untersagung einer Praktik),
- Verfügung zur Feststellung einer rechtswidrigen Praktik und deren Untersagung.
Bemerkenswert ist jedoch, dass die Interessenverbände zur Erwirkung solcher Verfügungen nicht das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucher einholen und keinen Nachweis erbringen müssen, dass die betroffenen Verbraucher einen tatsächlichen Verlust oder Schaden erlitten haben oder das der Unternehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.
Der Richtlinienvorschlag sieht außerdem vor, dass Interessenverbände berechtigt sind, mittels Verbandsklage einen Abhilfebeschluss zu erwirken, wonach der Unternehmer ua verpflichtet werden kann
- Entschädigungs-, Reparatur- oder Ersatzleistungen zu erbringen,
- den Preis zu mindern,
- die Vertragskündigung zu ermöglichen oder
- den Kaufpreis zu erstatten.
Der Interessenverband hat die Finanzierungsquellen im Verfahren offenzulegen. Das Gericht kann im Falle einer Drittfinanzierung die Verbandsklage unter bestimmten Umständen für unzulässig erklären.
Die Erhebung einer Verbandsklage bewirkt die Hemmung oder Unterbrechung einer ggf laufenden Verjährungsfrist für Rechtsschutzverfahren für die betroffenen Einzelpersonen.
Die Mitgliedstaaten sollen sicherstellen, dass für die Nichteinhaltung von rechtskräftigen Entscheidungen entsprechende Sanktionen, wie zB Geldbußen, verhängt werden können.
(3) Vergleiche
Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass ein Interessenverband und ein Unternehmen, die einen Vergleich über Abhilfemaßnahmen zugunsten der Verbraucher schließen, diesen von einem Gericht genehmigen lassen können. Ein solches Ersuchen soll nur dann zugelassen werden, wenn vor einem nationalen Gericht keine andere Verbandsklage in Hinblick auf denselben Unternehmer und die gleiche Praktik anhängig ist.
Darüber hinaus soll das Gericht im Rahmen der Verbandsklagen die Interessenverbände und den Beklagten auffordern können, binnen einer angemessenen Frist einen Vergleich über Abhilfemaßnahmen zu erzielen.
Die Vergleiche sollen der Prüfung auf Fairness und Rechtmäßigkeit durch das Gericht unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen aller Parteien unterliegen. Der Richtlinienentwurf sieht vor, dass die durch einen auf dieser Basis genehmigten Vergleich erwirkten Abhilfemaßnahmen – unbeschadet etwaiger zusätzlicher Rechtsschutzansprüche der betroffenen Verbraucher – für alle Parteien verbindlich sein sollen.
(4) Verständigung über Vergleich oder gerichtliche Entscheidung
Das Gericht kann die unterlegene Partei bzw beide Parteien verpflichten, auf ihre Kosten die betroffenen Verbraucher über die rechtskräftige Entscheidung oder den Vergleich (zB mittels Veröffentlichung auf einer Webseite) zu informieren.
(5) Auswirkungen von rechtskräftigen Entscheidungen
Eine rechtskräftige Entscheidung soll für die Zwecke anderer Rechtsschutzklagen, die wegen derselben Tatsachen gegen denselben Unternehmer gerichtet sind, als Beweismittel für die Feststellung eines Verstoßes betrachtet werden. Dieselben Verbraucher dürfen allerdings nicht zweimal für denselben Schaden entschädigt werden.
Der Richtlinienentwurf enthält auch den Vorschlag, eine Datenbank für die Sammlung sämtlicher rechtskräftiger Entscheidungen einzurichten.
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Der derzeitige Entwurf der Richtlinie ist besonders verbraucherfreundlich ausgestaltet. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Entwurf noch grundlegend überarbeitet wird. Ein Beschluss der Richtlinie vor Ende dieses Jahres erscheint aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Selbst dann bedarf es noch der Umsetzung durch die jeweiligen Mitgliedstaaten.
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