EuGH: Sanktionen bei Nichteinhaltung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen müssen verhältnismäßig sein
Co-Autorinnen: Mag. Eva Krichmayr; Mag. Katharina Scholz; Theresa Arlt, LL.M.
Die hohen Geldstrafen, welche in der Steiermark gegen ein kroatisches Bauunternehmen und den österreichischen Beschäftiger aufgrund fehlender Lohnunterlagen und Beschäftigungsbewilligungen von 217 Arbeitskräften verhängt worden sind, wurden vom EuGH als unionsrechtswidrig erklärt. Der EuGH hat ausgesprochen, dass die zugrunde liegende österreichische Regelung eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der EU darstellt (EuGH 12.9.2019, C-64/18 ua, Maksimovic ua).
Sachverhalt
Bei einer Baustellenkontrolle der Finanzpolizei konnte der österreichische Beschäftigerbetrieb weder die erforderlichen Beschäftigungsbewilligungen noch die Lohnunterlagen der dort eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte vorlegen. Daraufhin verhängte die zuständige Bezirkshauptmannschaft gegen den Geschäftsführer des kroatischen Bauunternehmens eine Geldstrafe in Höhe von 3,2 Mio. Euro. Weiters wurden Geldstrafen in Höhe von 2,6 Mio. Euro und 2,4 Mio. Euro gegen jedes der vier Vorstandsmitglieder des österreichischen Beschäftigerbetriebs verhängt. Im Fall ihrer Uneinbringlichkeit sollten diese Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafen von 1.736 und 1.600 Tagen umgewandelt werden.
Die betroffenen Personen erhoben gegen die ausgestellten Bescheide Beschwerde beim zuständigen Landesverwaltungsgericht Steiermark.
Entscheidung des EuGH
Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegte Zweifel an der Vereinbarkeit der Strafbemessung mit dem Unionsrecht und stellte mehrere Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Den Behörden und Gerichten wird ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt, der aufgrund der kumulativen Bestrafung im Verwaltungsstrafrecht und der hohen Mindeststrafen pro Arbeitnehmer eingeschränkt wird. Daher stellte sich für das vorlegende Gericht die Frage, ob dies mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen vereinbar ist, da sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt.
Die Sanktionierung von Verstößen arbeitsrechtlicher Verpflichtungen stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit dar. Ein solcher Eingriff ist gerechtfertigt, wenn es dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer sowie der Bekämpfung von Sozialbetrug dient.
Der EuGH stellte nun betreffend die den Vorlagefragen zugrundeliegenden Sachverhalte fest, dass die verhängten Strafen im Ausgangsverfahren nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen. Es wurden nach Ansicht des EuGH Geldstrafen verhängt, welche über das Ziel der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften hinausgehen und daher nicht mit geltendem Unionsrecht vereinbar sind.
Art. 56 AEUV, welcher den freien Dienstleistungsverkehr regelt, steht den österreichischen Strafbestimmungen im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Bereithaltepflicht von Lohnunterlagen sowie die Einholung von verwaltungsrechtlichen Bewilligungen aus folgenden Gründen entgegen: Die Strafen dürfen einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten; die Strafen werden für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt; zu den Strafen kommt im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag i.H.v. 20% der verhängten Strafe; im Fall der Uneinbringlichkeit werden die Geldstrafen in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt.
Ausblick
Nun obliegt es zunächst dem Landesverwaltungsgericht Steiermark, die anhängigen Beschwerden im Lichte der Entscheidung des EuGH zu beurteilen.
Es bleibt darüber hinaus abzuwarten, wie der österreichische Gesetzgeber auf diese Entscheidung reagiert und die gesetzlichen Regelungen anpassen wird.