Arbeitsrechtliche Fragen rund um das Coronavirus
Co-Autorinnen: Mag. Eva Krichmayr; Theresa Weiss-Dorer, LL.M.
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Seit dem Ausbruch des Coronavirus (Covid-19), dem Anstieg von Infektionen in Österreich sowie zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung stellen sich zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen. Unterschiedliche Interessen sind nun unter einen Hut zu bringen: Einerseits der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer/innen in Verbindung mit dem gemeinschaftlichen Interesse der Eindämmung der Ausbreitung, andererseits die Sicherung des Fortbestandes der Betriebe und der Arbeitsplätze.
Folgende arbeitsrechtliche Themen stehen im Vordergrund: Inwieweit sind die Maßnahmen der Bundesregierung für die Arbeitsvertragspartner bindend? Inwieweit muss der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer/innen aufgrund der Fürsorgepflicht schützen? Dürfen Arbeitnehmer/innen aus Angst vor einer Ansteckung zu Hause bleiben? Darf der Arbeitgeber Home-Office einseitig anordnen? Wir geben Ihnen im Folgenden einen Überblick über die Rechtslage und halten Sie angesichts der sich permanent ändernden Situation mit weiteren Beiträgen am Laufenden.
1. Sonderurlaub
Am Donnerstag, den 12.3.2020 kündigte die Regierung eine neue Regelung an: Demnach soll es einen Sonderurlaub von bis zu drei Wochen für Eltern mit Betreuungspflichten geben. Arbeitgeberbetriebe sollen entscheiden, ob Mitarbeiter freigestellt werden (können). Bis Ostern erhalten die Betriebe, die von der Regelung Gebrauch machen, jeweils ein Drittel der Lohnkosten der betroffenen Arbeitnehmer/innen ersetzt. Die Disposition über derartige Sonderurlaube soll auf Arbeitgeberseite liegen, um die kritische Infrastruktur – Lebensmittelhandel, Apotheken, Gesundheitsberufe, Verkehrsmittel und Energieversorgung – aufrecht zu erhalten.
Demnach soll kein Rechtsanspruch der Arbeitnehmer/innen auf einen derartigen Sonderurlaub bestehen. Andererseits dürfen Arbeitnehmer/innen auch nicht einseitig in diesen Sonderurlaub „geschickt“ werden. Es bedarf einer Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien. Nach derzeitigem Stand wirft die Regelung noch zahlreiche Fragen auf, welche in den Umsetzungsregelungen zu beantworten sind. Die Regelung soll zeitlich beschränkt bis Ostern gelten.
2. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Grundsätzlich trifft den Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Arbeitnehmer/innen; es trifft ihn die Pflicht, zweckmäßige Schutzmaßnahmen zu treffen, um seine Arbeitnehmer/innen bestmöglich vor einer Infektion zu schützen.
Insbesondere in Branchen mit Kundenkontakt fallen darunter bspw. Maßnahmen wie die leicht zugängliche Möglichkeit zur Desinfektion sowie weitere Hygieneempfehlungen und -maßnahmen für die Arbeitnehmer/innen. Weiters zählt hierzu die vorausschauende Planung von Veranstaltungen, Dienstreisen und Berücksichtigung von Reisewarnungen des Außenministeriums. Zahlreiche Unternehmen haben derartige innerbetriebliche Regelungen bereits umgehend getroffen.
Eine Verpflichtung, Schutzausrüstung (z.B. Schutzmasken) bereitzustellen, trifft den Arbeitgeber grundsätzlich nicht – nur in Ausnahmefällen, etwa bei direktem Patientenkontakt (bspw. in Gesundheitsberufen) muss der Arbeitgeber eine persönliche Schutzausrüstung (Einmalhandschuhe, geeignete Schutzkleidung, Atemschutzmaske, etc.) zur Verfügung stellen.
3. Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber
Sind Arbeitnehmer/innen bspw. aufgrund von Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert, können sie berechtigt der Arbeit fernbleiben. Auch wenn Arbeitnehmer/innen aufgrund einer behördlichen Maßnahme unter Quarantäne gestellt werden, stellt dies idR einen berechtigten Grund dar, von der Arbeit fernzubleiben (Dienstverhinderung aufgrund anderer wichtige, die Person des Arbeitnehmers betreffende Gründe, wenn nicht ein Krankenstand vorliegt).
Die aktuellen Schul- und Kindergartenschließungen und das von der Bundesregierung empfohlene Betreuen der Kinder zu Hause bedeuten für zahlreiche Eltern jüngerer Kinder, keine alternative Betreuungsmöglichkeiten vorzufinden und selbst zu Hause zu bleiben.
Die gesetzlich geregelte Pflegefreistellung bietet hierfür keinen geeigneten Ansatzpunkt, zumal diese auf den Ausfall der Betreuungsperson, welche sich sonst um das Kind kümmert, abstellt. Auf die derzeitige Krisensituation der Schul- und Kindergartenschließungen im Zusammenhang mit empfohlenem Zu-Hause-Bleiben stellt die Regelung nicht ab.
Für eine verhältnismäßig kurze Zeit greift der Dienstverhinderungsgrund aus anderen wichtigen, die Person der Arbeitnehmer/innen betreffenden Gründen, wobei aber stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist. Fraglich sind vor allem alternative Betreuungsmöglichkeiten. Im Fall eines berechtigten Fernbleibens von der Arbeit behält der/die Arbeitnehmer/in den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, vorausgesetzt es werden sämtliche Meldepflichten eingehalten. Bei einer Erkrankung richtet sich die Dauer der Entgeltfortzahlung nach den gesetzlichen Vorschriften, bei sonstigen Gründen, wie der notwendigen Kinderbetreuung, ist der Richtwert für die Entgeltfortzahlung in etwa maximal eine Woche. Hier soll nun nach Möglichkeit die von der Regierung angekündigte Neuregelung Platz greifen: Der oben dargestellte 3-wöchige Sonderurlaub.
Der/die Arbeitnehmer/in hat jedoch keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie/ihn ein Verschulden an der Dienstverhinderung trifft, etwa wenn sich die Person bewusst in eine betroffene Region begeben hat. Auch der/die Arbeitnehmer/in die Reisewarnungen des Außenministeriums zu beachten.
Es empfiehlt sich zusammenfassend, bei Betreuungspflichten eine individuelle und beiden Parteien dienliche Regelung zu treffen und das weitere Vorgehen für die nächsten Wochen auf Einzelfallbasis zu vereinbaren. Es handelt sich um eine besondere Situation, für die das Gesetz keine maßgeschneiderte Lösung bietet.
4. Epidemiegesetz
Im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ist weiters zu beachten, dass der Arbeitgeber unter Umständen Ersatzansprüche bzgl. der Lohn- und Gehaltskosten gegenüber dem Bund geltend machen kann. Das Coronavirus (Covid-19) wurde durch Verordnung des Gesundheitsministers vom 26. Jänner 2020 in die Liste der anzeigepflichtigen übertragbaren Krankheiten nach dem Epidemiegesetz aufgenommen. Werden seitens des Bundes Maßnahmen iSd § 32 Abs 1 Epidemiegesetz gesetzt (wie etwa Betriebsschließungen, Verkehrsbeschränkungen etc), und führen diese Maßnahmen zu einem Verdienstentgang, so sieht § 32 Epidemiegesetz einen Vergütungsanspruch gegen den Bund vor. Dieser Anspruch steht allen unselbständig oder selbständig erwerbstätigen natürlichen und juristischen Personen zu. Im Fall von unselbständig erwerbstätigen Personen (Arbeitnehmer/innen) gilt, dass deren Ansprüche zunächst vom Arbeitgeber zu erfüllen sind, und sich der Arbeitgeber dann in weiterer Folge beim Bund regressieren kann.
Die derzeit von der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen lösen zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages (13.3.2020, 13 Uhr) soweit ersichtlich noch keine derartigen Ansprüche gegen den Bund aus. ACHTUNG: Nur Maßnahmen österreichischer Behörden werden vom Epidemiegesetz umfasst. Für die bereits im Ausland verfügten Verkehrsbeschränkungen gelten die allgemeinen Entgeltfortzahlungsbestimmunge
5. Fernbleiben von der Arbeit
Arbeitnehmer/innen dürfen aufgrund der (grundlosen) Befürchtung einer Ansteckung nicht unentschuldigt von der Arbeit fernbleiben. Dies würde ein unberechtigtes einseitiges Fernbleiben von der Arbeit und somit eine Verletzung der Dienstpflichten darstellen und könnte dieses grundlose Fernbleiben grundsätzlich einen Entlassungsgrund darstellen. In diesem Fall besteht auch kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber für diese Zeit. Besteht hingegen eine objektiv nachvollziehbare Gefahr, sich bei der Arbeit mit Covid-19 zu infizieren, ist ein einseitiges Fernbleiben von der Arbeit gerechtfertigt, denn der Arbeitnehmer muss eine Gesundheitsgefährdung nicht hinnehmen. Ein derartiger Fall kann etwa vorliegen, wenn es in dem unmittelbaren Arbeitsumfeld bereits zu einem bestätigten Fall einer Ansteckung mit dem Coronavirus gekommen ist und noch keine ausreichenden Gegenmaßnahmen ergriffen worden sind.
Zu beachten ist jedoch, dass dies nicht für jene Arbeitnehmer/innen gilt, die bereits berufsmäßig mit der Krankenbetreuung befasst sind, wie bspw. Arbeitnehmer in Krankenhäusern, Apotheken, Pflegeheimen, Krankentransport usw. Der Arbeitgeber dieser Arbeitnehmer/innen ist jedoch aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet, geeignete – besondere – Schutzmaßnahmen vorzusehen.
Dennoch steht es natürlich einem Arbeitgeber jederzeit frei, seine Mitarbeiter nach Hause zu schicken und (sogar grundlos) auf ihre Arbeitsleistung bzw. Anwesenheit im Betrieb zu verzichten. Dabei handelt es sich üblicherweise um eine Dienstfreistellung, während der ein/e Arbeitnehmer/in Anspruch auf das Entgelt gegenüber dem Arbeitgeber behält.
6. Home-Office und flexibles Arbeiten
Ob ein Arbeitgeber einseitig Home-Office anordnen kann, hängt von der vertraglichen Ausgestaltung ab. Enthält bereits der Arbeitsvertrag die Vereinbarung, dass der Arbeitgeber Home-Office anordnen kann oder eine Versetzungsklausel, wonach der/die Arbeitnehmer/in einseitig an einen anderen als den ursprünglichen Arbeitsort versetzt werden kann, ist es dem Arbeitgeber möglich, einseitig Home-Office-Arbeit bzw. flexibles Arbeiten an unterschiedlichen Orten (im örtlich zumutbaren Rahmen) anzuordnen.
Enthält der Arbeitsvertrag keine diesbezügliche Vereinbarung, ist die Verlegung des Arbeitsortes zwischen Arbeitnehmer/in und Arbeitgeber ausdrücklich zu vereinbaren. Das bedeutet, dass der/die Arbeitnehmer/in grundsätzlich auch die Möglichkeit hat, die Zustimmung zu verweigern. In einem Krisenfall und zur Vermeidung von Ansammlungen von Menschen, um Ansteckungen zu verhindern, wird aber aufgrund der Treuepflicht des/der Arbeitnehmers/in gegebenenfalls anzunehmen sein, dass diese/r der Verlagerung seines Arbeitsortes nach Hause – wenn technisch möglich – zustimmen wird müssen.
7. Dienstreisen
Sofern dies vertraglich vereinbart ist, kann der Arbeitgeber (innerhalb der Grenzen des Arbeitsvertrages) auch Dienstreisen anordnen, welche der/die Arbeitnehmer/in grundsätzlich auch vorzunehmen hat. Der/die Arbeitnehmer/in kann eine angeordnete Dienstreise dann ablehnen, wenn dadurch die Gesundheit in einem erhöhten Ausmaß gefährdet wird. Eine Gefährdung der Gesundheit in erhöhtem Ausmaß ist jedenfalls gegeben, wenn die Dienstreise in ein Gebiet erfolgen soll, für das eine Reisewarnung des Außenministeriums besteht. Dienstreisen an andere Orte, für die es derzeit (noch) keine Reisewarnung gibt, können nur abgelehnt werden, wenn aufgrund der derzeitigen Umstände tatsächlich zu befürchten ist, dass am Zielort eine hohe Ansteckungsgefahr besteht.
Es ist daher empfehlenswert, die Reisewarnungen des Außenministeriums regelmäßig bzw. vor Antritt einer Dienstreise zu überprüfen (https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/laender/).
8. Urlaub / Unmöglichkeit der Heimreise
Hat der/die Arbeitnehmer/in bereits einen Urlaub in ein gefährdetes Gebiet oder ein Gebiet, für das derzeit eine Reisewarnung besteht, geplant, kann der Arbeitgeber einen Antritt des Urlaubs und Aufenthalt in dem entsprechenden Gebiet nicht untersagen. Der Urlaub fällt in die Privatsphäre, weshalb der Arbeitgeber hier grundsätzlich keine Weisungsbefugnis hat.
Wenn ein/e Arbeitnehmer/in aufgrund bestimmter Vorsorgemaßnahmen (wie Quarantäne, eingeschränkte Verkehrsmittel) aus dem Urlaubsort die Heimreise nicht mehr antreten kann und somit nicht zur Arbeit erscheint, stellt diese tatsächliche Verhinderung der Rückreise grundsätzlich einen berechtigten Grund dar, von der Arbeit fernzubleiben. Der/die Arbeitnehmer/in hat aber in diesem Fall nur dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber, wenn er/sie unverschuldet in diese Situation geraten ist und nicht etwa bereits vor Abreise eine Reisewarnung für das Gebiet bestanden hat. Auch ist nicht von einer zeitlich unbeschränkten Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers auszugehen.
Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmer/innen, die von einer Dienstreise oder einem Urlaub in einem betroffenen Gebiet zurückkommen und keine Symptome zeigt, gegen Fortzahlung des Entgelts vom Dienst freistellen. Sollte mit dem/der betreffenden Arbeitnehmer/in eine Vereinbarung über Home-Office Arbeit bestehen oder einvernehmlich abgeschlossen werden, kann der Arbeitgeber auch anweisen, die Arbeit von zu Hause zu erledigen (sofern sich der/die Arbeitnehmer/in nicht in Krankenstand befindet).
9. Treuepflicht des Arbeitnehmers
Aufgrund der Treuepflicht des/der Arbeitnehmers/in hat diese/r dem Arbeitgeber eine Infektion mit dem Coronavirus – unbeschadet weiterer Meldepflichten – bekannt zu geben. Dies ermöglicht dem Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht Vorsorgemaßnahmen für die restliche Belegschaft zu treffen.
Ebenso darf der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht zum Schutz der anderen Mitarbeiter/innen in dem Betrieb eine/n Arbeitnehmer/in fragen, ob er/sie einen Urlaub in einem Gebiet mit einer hohen Ansteckungsgefahr oder in einem Gebiet, für das eine Reisewarnung besteht, verbracht hat. Der/die Arbeitnehmer/in hat auf diese Frage aufgrund seiner Treuepflicht auch wahrheitsgemäß zu antworten.
Allgemein zu weiteren Informationen und (Melde-)Verpflichtungen siehe https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/.
Der Beitrag wurde am 13.3.2020 aktualisiert.
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