„Verträge sind einzuhalten“ – Trotz Corona? (Teil 2)
Die aktuelle Covid-19-Krise führt bei vielen Unternehmen zu großer Unsicherheit:
Welche Beständigkeit haben eigentlich Vereinbarungen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Umstandsänderungen, die niemand vorhersehen konnte?
Diese Frage warfen wir in Teil 1 unserer Blogserie „COVID-19 und Vertragsrecht“ auf und hielten an dieser Stelle bereits fest:
Beim Wortlaut einer getroffenen Vereinbarung wird es wohl in den seltensten Fällen bleiben.
1. Vertragsauslegung
Zunächst empfiehlt sich stets ein Blick in den Vertrag selbst: Sieht dieser entsprechende Regelungen zur Tragung der Leistungs- und Preisgefahr vor?
Wenn ja, sind diese grundsätzlich verbindlich. ABER: Nach österreichischem Recht sind Verträge nicht zwangsläufig und nur nach dem Wortlaut auszulegen. Vielmehr ist der Wille der beiden Vertragsparteien maßgeblich. Und wenn sich ein solcher gemeinsamer Wille, der nicht vom Wortlaut der getroffenen Vereinbarung gedeckt sein muss, ermitteln lässt, ist dieser maßgeblich. Damit werden zugleich die Schwierigkeiten dieses Ansatzes offenkundig: Wann und wie lässt sich ein solcher – gemeinsamer und vom Wortlaut unter Umständen abweichender – Wille tatsächlich erweisen?
Im Rahmen einer sogenannten ergänzenden Vertragsauslegung besteht auch die Möglichkeit, eine allfällige Lücke (im an sich wirksam zustande gekommenen) Vertrag zu schließen, sofern diese Lücke planwidrig entstand. Davon umfasst sind insbesondere Störungen in der Vertragsabwicklung, für die die Vertragsparteien keine Regelung getroffen haben – weil sie daran bei Vertragsschluss nicht dachten.
Grundsätzliche Voraussetzung ist allerdings, dass diese Lücke auch nicht durch Heranziehung des dispositiven Rechts (siehe Punkt 3.) geschlossen werden kann.
Damit bleiben an sich nur jene Fälle für die ergänzende Vertragsauslegung, in denen
- keine gesetzliche Regelung vorhanden ist,
- für die Parteien die Anwendung der gesetzlichen Bestimmung (erkennbar) nicht in Betracht kommt, oder
- sich eine vorhandene gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen, nicht sachgerecht oder unbillig erweist.
Was bedeutet das nun für scheinbar durch Covid19 “infizierte” Verträge?
In der Praxis muss jeder Vertrag einer Prüfung unterzogen werden:
- Inwieweit wird ein Unternehmen nunmehr an der konkret geschuldeten Leistungserbringung gehindert?
- Macht der Vertrag aufgrund der derzeit gegeben Umstände (konkret: welcher?) überhaupt noch “Sinn”?
- Was hätten die Parteien (redlicherweise) vereinbart, wenn sie diese Umstände vorausgesehen hätten?
Hier zeigen sich zugleich die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung, denn:
Der Wille der Parteien wird sich nicht nur im Einzelfall im Nachgang schwer ermitteln lassen. Das muss es aber auch nicht zwangsläufig, da solche außergewöhnlichen Konstellationen regelmäßig auch über das Rechtsinstitut vom Wegfall der Geschäftsgrundlage (dazu mehr in Teil 3 unserer Blogserie) einer interessengerechten Lösung zugeführt werden können.
2. Allheilmittel: Force Majeure-Klausel?
Im österreichischen Recht findet sich keine gesetzliche Definition der “höheren Gewalt” (Force Majeure). Die ständige Rechtsprechung versteht darunter “ein von außen her auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis,
- das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist
- und durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann.”
Vereinfacht gesagt: ein von außen kommendes, unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis.
In vielen Verträgen finden sich regelmäßig sogenannte “Force Majeure-Klauseln”, die scheinbar gerade solche unvorhersehbaren Ereignisse vertraglich auffangen sollen. Auch hier ist jedoch Vorsicht geboten:
Sieht die Klausel einen Fall der höheren Gewalt bei Epidemien oder Pandemien vor, stehen die Chancen gut, dass sich die Vertragspartei, die in Folge dessen den Vertrag nicht oder nicht rechtzeitig erfüllen kann, auf höhere Gewalt berufen kann. Selbst wenn die Klausel nach ihrem Wortlaut nicht explizit auch Epidemien oder Pandemien erfasst, dürften regelmäßig sehr valide Argumente dafür sprechen, dass die Aufzählung von Umständen im Zweifel nicht abschließend ist und die Ausbreitung einer Infektionskrankheit, wie Covid-19, miterfasst sein soll. Die Leistungserfüllung muss allerdings tatsächlich durch dieses Ereignis beeinträchtigt sein (zB aufgrund behördlicher Anordnungen). Die bloße Ausbreitung des Coronavirus allein berechtigt eine Vertragspartei nicht, sich auf höhere Gewalt zu berufen.
Viel wichtiger jedoch: Was soll nach der Klausel die konkrete Rechtsfolge sein? Soll sie zur Vertragsanpassung oder auch zur Kündigung bzw zum Rücktritt vom Vertrag berechtigen?
Und, wieder: Niemand hat bei Vertragsschluss den Eintritt eines Ereignisses mit den Auswirkungen, wie wir sie derzeit erleben, bedacht. Selbst eine sogenannte “Force Majeure-Klausel” mit allen darin festgelegten Rechtsfolgen muss also keineswegs als “abschließende Regelung” von Covid19-Auswirkungen begriffen werden.
“Außergewöhnliche” Ereignisse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie von keiner Partei zu vertreten sind. Somit bedarf es auch keiner weiteren Erläuterung, dass Schadenersatzpflichten, die jedenfalls nach österreichischem Verständnis eines Verschuldens bedürfen, “regelmäßig” ausgeschlossen sein werden.
Warum nur “regelmäßig”? Parteien, die in Kenntnis der aktuellen Situation Leistungspflichten übernehmen und sie in weiterer Folge DESHALB nicht erfüllen können, werden sich kaum auf ein “außergewöhnliches Ereignis” bzw mangelndes Verschulden berufen können.
3. Dispositives Recht – Verzug, Fixgeschäft und Unmöglichkeit
Sofern im Vertrag selbst keine spezifischen Regelung zur Leistungserbringung getroffen wurde, kommt – mit der Ausnahme, dass dies durch die Parteien erkennbar nicht gewollt war (siehe ergänzende Vertragsauslegung, Pkt 1.) – dispositives Recht zur Anwendung. Darunter sind jene zivilrechtlichen Normen zu verstehen, die durch vertragliche Vorkehrungen abbedungen werden können.
Hierbei ist zu beachten, dass insbesondere im Arbeits-, Miet- und Werkvertragsrecht spezielle gesetzliche Regelungen existieren. Auf diese wird nachfolgend nicht eingegangen.
a) Verzug
Leistet eine Vertragspartei (konkret: der Schuldner) nicht oder nicht rechtzeitig, befindet sie sich im sogenannten Schuldnerverzug.
Trifft den Schuldner daran jedoch kein Verschulden (beispielsweise aufgrund behördlicher Maßnahmen, die ihn an der Vertragserfüllung hindern), spricht man vom sogenannten objektiven Schuldnerverzug. In diesem Fall kann sich die andere Vertragspartei (konkret: der Gläubiger) entweder mit einer späteren Leistungserbringung einverstanden erklären oder unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurücktreten.
Hinsichtlich der Angemessenheit der Frist ist im Einzelfall eine Interessenabwägung durchzuführen: Je aufwändiger die zu erbringende Leistung ist und je weniger dringend der Gläubiger auf sie angewiesen ist, umso länger muss sie sein. Die Frist muss dem Schuldner die reale Chance zur Nachholung geben, braucht ihm aber nicht zu ermöglichen, mit den Vorbereitungen der Leistung erst zu beginnen. Im Rahmen der Interessenabwägung werden uE auch die COVID-19-Krise und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Unternehmen des Schuldners zu berücksichtigen sein. Wobei insbesondere auch folgender Umstand zu berücksichtigen ist:
Wenn kein Ende eines – an sich – temporären Ereignisses absehbar und dem Gläubiger ein Zuwarten nicht zumutbar ist, liegt kein Verzug mehr vor. Dann ist vom Vorliegen einer Unmöglichkeit (siehe Pkt 3.c.) auszugehen.
Beim objektiven Schuldnerverzug stehen dem Gläubiger keine Schadenersatzansprüche zu. Sollte jedoch der Verzug auf Umstände zurückzuführen sein, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Covid-19-Krise stehen, sind sehr wohl auch Schadenersatzansprüche – wie bisher – denkbar. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Schuldner die Leistung trotz Eintritt der Krise erbringen hätte können (indem er zB auf andere Lieferanten zurückgegriffen hätte) oder wenn er – bei zumutbarer Sorgfalt – angemessene Vorsorgemaßnahmen hätte treffen können.
b) Fixgeschäft
Einen Sonderfall stellen die sogenannten “Fixgeschäfte” dar. Darunter versteht man Geschäfte, die an einen fixen Termin gebunden sind oder aus deren Zweck erkennbar ist, dass der Gläubiger an einer verspäteten Erfüllung kein Interesse hat. Befindet sich der Schuldner in Verzug, zerfällt der Vertrag mit sofortiger Wirkung, es sei denn, der Gläubiger erklärt unverzüglich, weiterhin an der Erfüllung interessiert zu sein. Allenfalls geleistete (An-)Zahlungen müssen rückabgewickelt werden.
Besteht der Gläubiger auf eine Leistungserbringung, gilt das zu Pkt. 3.a. Ausgeführte.
c) Unmöglichkeit
Kann die Leistung vom Schuldner nicht mehr nachgeholt werden, weil ihr beispielsweise aufgrund der Covid-19-Krise ein dauerhaftes Leistungshindernis entgegensteht, liegt ein Fall der (nachträglichen) Unmöglichkeit vor.
Zwei Fallkonstellationen sind hierbei von besonderem Interesse:
- Die konkret geschuldete Leistung kann aufgrund einer Änderung der Rechtslage nach Vertragsschluss nicht mehr erbracht werden. Covid-19-Maßnahmen, die direkt auf das Vertragsverhältnis so einwirken, dass eine Leistungserbringung ausgeschlossen ist, dürften hierunter fallen. Zu beachten ist, dass alleine die Erschwerung der Leistungserbringung durch eine behördliche Maßnahme grundsätzlich nicht darunter fällt. Kann jedoch die Leistung wegen einer Änderung der Rechtslage, die direkt das Vertragsverhältnis betrifft, nicht mehr erbracht werden, entfallen die wechselseitigen Pflichten der Parteien.
- Die Leistung kann zwar (theoretisch) noch erbracht werden. Der zur Leistungserbringung nötige Aufwand steht jedoch in keiner vertretbaren Relation zum Wert der Leistung bzw Gegenleistung. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einem sogenannten “Unerschwinglichwerden”, das grundsätzlich nicht zu einer Leistungsbefreiung führt. Anderes gilt jedoch – und dies ist für Covid-19-”infizierte” Verträge uU relevant – wenn der Schuldner diese Unerschwinglichkeit weder verschuldet hat, noch bei Vertragsschluss vorhersehen konnte.
Um an dieser Stelle einem Irrtum vorzubeugen: Geldmangel oder Zahlungsschwierigkeiten begründen niemals einen Fall der Unmöglichkeit. So bitter es klingt, “Geld muss man haben”. Wenn Sie also mit dem Einwand der Unmöglichkeit konfrontiert werden, kann es sich nur um die geschuldete Sachleistung handeln. Die Tatsache, dass ein fälliges Entgelt nicht bezahlt werden kann, hat mit Unmöglichkeit (im rechtlichen Sinne) nichts zu tun.
In Teil 3 unserer Blogserie “COVID-19 und Vertragsrecht” werden wir uns unter anderem dem Thema “Wegfall der Geschäftsgrundlage” widmen.
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Co-Autorin: Mag. Sabine Brunner, LLB.oec.